Der Architekt und Künstler Martin Stachat schuf für den neu konzipierten Raum der Stille im Hospiz Köpenick ein beeindruckendes Kunstwerk. Und was Frau Brinkmann dazu sagt.
Martin Stachat ist aufgeregt. Vielleicht auch erwartungsfroh, aber aufgeregt trifft es besser. In wenigen Augenblicken wird der von ihm gestaltete Raum der Stille im Hospiz Köpenick eröffnet und im wahrsten Sinne des Wortes der Öffentlichkeit übergeben. Der Berliner Architekt hat nicht nur zig Häuser geplant und gebaut, sondern auch eine Kirche in Berlin-Köpenick saniert, ein Pflegeheim in Bad Salzungen und einen Aussichtsturm in der Uckermark konstruiert. Sein Meisterstück allerdings ist in Rüdersdorf bei Berlin zu besichtigen. Im dortigen Museumspark hat er unter anderem die sogenannte Schachtofenbatterie auf Vordermann gebracht, die seither einem beeindruckendem Sakralbau gleicht. Manche würden sagen, was Stachat hier erreicht hat, sei sensationell. Fakt ist, dass der von ihm sanierte Bereich zu den eindrucksvollsten Industriedenkmälern Deutschlands zählt und dem einstigen Kalk- und Bergwerk alle Ehre erweist.
Der Raum der Stille ist – gemessen am benachbarten Foyer des Hauses – nicht eben riesig. Durch seine breite Fensterfront, die den Blick auf das Atrium freigibt, wirkt er jedoch viel größer und je nach Tageszeit unterschiedlich hell. Mit genau dieser Eigenschaft spielte Martin Stachat und schuf ein plastisches Kunstwerk, das je nach Lichteinwirkung differente Wirkungen entfaltet. Ein Baum, digital mit einem feinen Raster auf Plexiglasplatten gedruckt und versehen mit einer dezenten Spiegelung, erinnert daran, dass alles vergänglich ist, was atmet und einen Pulsschlag hat. Stachat ging jedoch noch einen Schritt weiter. Er brach die planen Kunsstoffflächen auf und montierte sie in unterschiedlichen Anstellwinkeln an die Wand. So spiegelt der Baum nicht nur sich selbst, sondern auch zufällige Schattenwürfe, Verzerrungen, Montageelemente und Plattenbrüche. Dadurch erhielt die Wandgestaltung einen sphärischen Charakter, der die Wirkung eines fixen Bildes bei Weitem übertrifft. Nicht nur die permanente Veränderung des Kunstwerkes durch das wechselnde Licht nimmt „das Leben aufs Korn“, auch die Brüche und Verschiebungen sind den Lebensgeschichten der Betrachter nicht unähnlich. Wer möchte, kann in Stachats Raumkunst seinen eigenen Lebensweg entdecken und sich nebenbei von der Stille des Ortes umfangen lassen.
Zwei Künstler
Stille. Die ist für Berliner und Großstädter allgemein zum Serviervorschlag verkommen. Permanent werden alle Sinne strapaziert, rund um die Uhr, gelegentlich bis zur Erschöpfung. Stille, so scheint es, ist was für Alte, Naturfreaks, Esoteriker, Religiöse oder Hörgeräteakustiker. Stille kann nicht jung und modern sein, oder? Die „Verlärmung“ der urbanen Zentren wird langsam zum Problem, weil sie latent gesundheitsgefährdend ist, nervös machen und die Konzentrationszeiträume verkürzen kann. So jedenfalls sehen es Wissenschaftler, die sich mit Lärmverschmutzung beschäftigen. Die letzten Bastionen der Stille, auch in Großstädten, sind vermutlich Friedhöfe. Allerdings rücken an die Außengrenzen der bisher friedvollen Ruhestätten auch immer mehr Straßen, Wohn- und Geschäftsbauten heran.
Martin Stachat, scheint es, umgibt sich gern mit Stille. Er lässt die Besucher des Hospizes Köpenick, die den neu gestalteten Raum zum ersten Mal in Augenschein nehmen, zunächst kommentarlos allein. Erst später wird er seine Gedanken und Ansichten erläutern und auch, warum er die Platten so und nicht anders verbaut hat. Links von ihm steht, neben den anderen Besuchern, Frau Brinkmann. Die alte Dame schaut kritisch auf das Kunstwerk und die zurückhaltend arrangierte Dekoration, sie scheint den Raum und den Augenblick aufzusaugen wie ein Schwamm. Frau Brinkmann ist Fotografin. Eine echte, gelernte Handwerkerin mit dem Blick für den Moment, kleine Details und das große Ganze. Früher hat sie unter anderem für „Die Welt am Sonntag“ gearbeitet. Jetzt ist sie Gast im Hospiz Köpenick, einige Fotocollagen von ihr hängen in den Gängen des Hauses. Martin Stachat fiebert nicht nur sprichwörtlich ihrem Urteil entgegen. Daher also kommt seine Aufregung – Frau Brinkmann hat sich besonders intensiv mit seinem Werk auseinandergesetzt. Während viele Besucher Stachats Arbeit an der Wand so oder so betrachten, räumt er der einstigen Fotografin mehr Raum für ein Gespräch ein. Tatsächlich jedoch treffen zwei Künstler aufeinander und es wird für alle Umstehenden zur Freude, beiden zuzuhören.
Stille für jedermann
Das Bild gefalle ihr, sagt Frau Brinkmann. Der Architekt ist erleichtert und gesteht, dass er sich über ihre Meinung besonders freut. Denn Frau Brinkmann ist nicht einfach nur Fotografin, sondern für Stachat so etwas wie ein Kollegin im Geiste. Brinkmann hat, als es ihr noch besser ging, ihr Fotoarchiv durchforstet – alles großartige Arbeiten auf Papier – die Aufnahmen zerschnitten und zu Collagen neu zusammengesetzt. Auch das kann ein Akt der Befreiung sein, zumindest in der Kunst. Jedenfalls ist aus alten Fotografien etwas Neues entstanden. Zum Teil abstrakt und widerspenstig, bei näherer Betrachtung modern, ästhetisch und irgendwie abgefahren. Die alten, neuen Brinkmann-Bilder im Hospiz sind sichtbares Zeichen ihrer kreativen Lebensweise. Und sie sind Ausdruck besonderer Lebenslust, denn die Gäste des Hospizes Köpenick standen, bevor sie von ihren Krankheiten zu Boden gedrückt wurden, mitten im Leben. So was wird leicht vergessen – niemand wird als Patient und Hospizgast geboren.
Der neu gestaltete Raum der Stille ist für jedermann geöffnet. Ist schon das Hospiz Köpenick eine akustische Oase – wenngleich umzingelt von Straßen und geschäftigem Treiben – so ist der Raum der Stille eine Tauchstation für die Seele. Wer die Augen schließt, vergisst für einen Augenblick, dass „da draußen“ so unendlich viel zu erledigen ist, Termine warten und Aufgabenberge immer höher werden. In unserer Zeit wird Stille zur Medizin. Das Schönste: sie kostet nichts, außer Geduld. Aber das ist eine andere Geschichte …
Die Abbildungen zeigen unter anderem Martin Stachat, Doreen Fuhr, Dr. Christian Friese, Prof. Dr. med. Stefan Kahl, Frank Armbrust, Christa Scholz, Frau Küttner und Frau Brinkmann, einen Teil des Hospiz-Teams und Besucher des Hauses.