Ewige Liebe ist heute

Andrea und Murat haben im Hospiz Köpenick geheiratet. Ihre Liebe währt ewig – bis der Tod sie scheidet.

Es ist schwer, aber ich liebe Andrea so sehr. Murat

 

Sie haben sich vor zehn Jahren kennengelernt und es war Liebe auf den ersten Blick – Andrea und Murat. Sie leben in Deutschland, zwischendurch auch mal in der Türkei. Ihre beiden Kinder wachsen zweisprachig auf, sie können später selbst entscheiden, wo ihr Weg hinführt. Andrea arbeitet im Einzelhandel, Murat in einer Berliner Reederei. Alles läuft gut, dass Paar genießt gemeinsam mit seinen Kindern das Leben und wenn der sprichwörtliche Schuh im Alltag drückt, schafft man mit gegenseitiger Unterstützung Abhilfe.

Bis der Krebs zuschlägt. Dieser plötzliche Bruch im Leben war nicht geplant – bei wem ist er das schon? Vor etwas mehr als einem Jahr, direkt nach der Lungenkrebs-Diagnose, begann die Zeit des Hoffens und Bangens. Möglicherweise kann man da etwas machen? Dagegen ankämpfen? Alles, nur nicht aufgeben, schon wegen der Kinder.

Jetzt die Gewissheit für die kleine Familie: Andrea wird den Krebs nicht überleben. Sie wohnt im Hospiz und gemeinsam fassen Andrea und Murat einen Entschluss. Sie wollen heiraten und ihre Liebe mit amtlichen Dokumenten öffentlich machen. Für die Liebe selbst ist das nicht wichtig, das wissen beide. Die Liebe braucht keine Stempel und Unterschriften. Aber eine Trauung ist etwas anderes – sie überführt den einmal eingegangenen Bund in eine verbindliche „Liebesgeschichte“.

„Wir gehören zusammen“, sagen Andrea und Murat, als sie mit Tränen in den Augen die Glückwünsche von Standesbeamtin, Familienangehörigen, Hospiz-Team und ehrenamtlich Helfenden entgegennehmen. Sogar ein Lachen gelingt ihnen, auch wenn es nicht – wie bei den meisten anderen Hochzeiten irgendwo zur gleichen Zeit – von langer Dauer ist. „Das ist schwer, aber ich liebe sie“, flüstert Murat und senkt den Blick hinab zu den Kindern. Die wissen vermutlich nicht so ganz genau, warum plötzlich so viele Menschen um sie herum die Gläser erheben und mit Zuversicht im Blick dem Paar gratulieren.

Ich bewundere Andrea und Murat für diesen Schritt und sage ihnen das auch. Statt sich zurückzuziehen und in Verzweiflung zu versinken, heiraten sie. Wie groß ist der Mut dieser zwei, wie stark ihr Glaube aneinander? Ihre Trauung ist das Gegenteil von Mutlosigkeit und Verzweiflung, ihr öffentliches Ja-Wort ein sichtbares Bekenntnis: Ewige Liebe ist heute.

Für einen Moment ist die Zeit wie in einem Glas gefangen, für ein paar Augenblicke haben Abschied und Tod das Paar und seine Gäste nicht im Griff. Einen Moment lang ist Frieden in den Herzen. Vielleicht ist da was dran: Einer trage des anderen Last. „Wenn wir uns gemeinsam auf den Weg machen und einander nicht aus den Augen verlieren, was kann uns der Tod anhaben? Wenn wir uns an den Händen halten, und miteinander gehen, was soll dann noch passieren?“, fragt der irische Musiker James Cornegie.

Mich erinnern diese Gedanken an unsere Arbeits- und Lebenswelten. Täglich im Sprint durch den Tag, mit ICE-Geschwindigkeit durch die Woche. Die Diktatur des Terminkalenders wird zur Überlebensstrategie – nicht schön, aber effektiv. Meine Großmutter hatte dafür diesen Spruch parat: „Der Krug geht solange zu Wasser, bis er bricht“ und meinte damit, dass jegliches Handeln irgendwann Konsequenzen haben wird. Was wirklich wichtig ist im Leben, bemerken wir oft erst, wenn es uns entzogen wird.

Vielleicht haben Andrea und Murat – ganz unbewusst – auch dafür geheiratet: Auf dass wir klug werden.

Uwe Baumann