Die letzten Tage sind wertvolle Zeit

Der Tod macht uns oft sprachlos. Man will ihn nicht wahrhaben und verhandelt mit dem Schicksal. Ein Beitrag zu menschlicher Nähe und würdevollem Sterben.

Der Tod ist unfassbar. Wir können uns noch so oft sagen, dass das Leben endlich erscheint – wenn es soweit ist, die Diagnose gestellt wurde, die Kräfte nachlassen, die Tage gezählt sind, dann stehen wir vor einem Abgrund. Mutlos, verzagt, verzweifelt. Menschen, die erfahren, dass sie sterben müssen, sind oft sprachlos. Es fehlen die Worte für diese im wahrsten Sinne existenzielle Erfahrung. Meist folgen dann verschiedene Phasen der Verarbeitung: Depression und Verstimmung, Traurigkeit und Aggression. Man will es nicht wahrhaben und verhandelt mit dem Schicksal. Ein kräftezehrendes Auf und Ab zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Man ringt und kämpft. Manche werden dabei leise und verschlossen, andere laut und zornig. Jeder geht mit dieser Erfahrung seinen eigenen Weg.

 

Menschen in der Nähe

Doch irgendwann kommt die Zeit, da beginnt man Abschied zu nehmen: von seinem alten Selbst, den Angehörigen und Freunden, den Gewohnheiten und Plänen. Vom Alltag. Vom Leben. Jeder stirbt allein, aber dennoch ist es gut, Menschen in der Nähe zu haben, die Geborgenheit schenken und einen auffangen, wenn Angst oder Verzweiflung zu stark werden. Die aber auch noch die schönen Augenblicke mit genießen und Freude teilen.
Die meisten Menschen haben Angst vor dem Tod. Vor dem Ungewissen, vor der Einsamkeit, den Schmerzen. Doch die letzten Tage sind wertvolle Zeit. Sie können noch ein gutes Stück Leben sein. Eine Zeit, in der man Abschied nimmt, Bilanz zieht, vielleicht Frieden findet.

 

Ich glaube, dass die Toten als Tier oder Gegenstand wiedergeboren werden. Ich will einmal eine Uhr werden.

Laura Gräbner,  5 Jahre, aus dem Buch: Tote leben immer, herausgegeben vom Bleilaus-Verlag Leipzig

 

In Würde sterben können

Immer mehr Sterbende und ihre Angehörigen entscheiden sich dafür, die letzten Tage in einem Hospiz zu verbringen. Wer in ein Hospiz einzieht, weiß, dass dies seine letzte Station in dieser Welt ist. Manchmal geht es ganz schnell, anderen bleiben noch einige Wochen. Die Menschen, die hierher kommen, sollen ihre letzten Tage möglichst schmerzfrei leben und in Würde sterben können. Ein Hospiz ist ein guter Ort für jemanden, der den Tod in einem Krankenhaus fürchtet und der zu Hause in seiner vertrauten Umgebung nicht sterben kann oder will. Sterben im Hospiz bedeutet auch eine Entlastung für die Angehörigen. Sie können die Pflege abgeben und haben wirklich Zeit für den Sterbenden. Und sie sind nicht allein mit der Situation, können sich Rat und Unterstützung holen. Das kann eine große Erleichterung in einer schweren Zeit sein.

 

Wünsche erfüllen

Pflegende und Ehrenamtliche nehmen sich Zeit für Gespräche und bemühen sich, Wünsche der Sterbenden zu erfüllen. Sei es, jemand möchte sein Kindheits-Lieblingsessen gekocht bekommen oder ein Gläschen Sekt um Mitternacht trinken, eine besondere Musik hören oder noch einmal einen Ort besuchen, der mit Erinnerungen verbunden ist. Manchmal geht es auch darum, Kontakt zu Verwandten aufzunehmen, der lange abgebrochen war, und von denen man nicht unversöhnt gehen will. Manchmal kann der Schock darüber, dass das Leben endlich ist, helfen Wunden zu heilen.

 

In Erinnerungen schwelgen

Zum Schluss fragt man sich: Habe ich so gelebt, wie ich es wollte? Habe ich das, was ich angesammelt habe, wirklich gebraucht? War ich der Mensch, der ich sein wollte? Wenn jemand zum Schluss merkt, das, was er gelebt hat, war eigentlich nicht das, was er wollte, dann tut das weh. Manche stellen aber auch fest: Es lief nicht alles nach Plan, sie sind immer mal wieder gescheitert, aber es war ihr Leben und sie blicken zufrieden zurück. In dieser Phase kann es hilfreich sein, einfach nur zuzuhören, gemeinsam mit dem Sterbenden die Stationen seines Lebens durchzugehen, in Erinnerungen zu schwelgen. Und vielleicht auch darüber zu sprechen, wie es nach seinem Tod für die anderen weitergehen kann.

 

Das Gehör geht zuletzt

Wenn der Sterbeprozess fortschreitet, wenn die Schlafphasen vielleicht länger werden, es Zustände von Verwirrung gibt, das Bewusstsein verloren geht, dann ist es gut, einfach nur da zu sein, den Sterbenden vielleicht sanft zu berühren, mit ihm zu sprechen. Denn das Gehör geht ganz zuletzt. Sterbende Menschen nehmen noch sehr viel mehr auf, als man ahnt. Deswegen kann man auch einem Bewusstlosen sagen, was er einem bedeutet. Manchmal kann es sogar helfen, ihm zu sagen, dass er gehen kann, man ihn nicht länger festhält. Vielleicht kann er einfacher sein Leben loslassen, wenn er sich nicht um die sorgen muss, die zurückbleiben. Der Tod ist unfassbar, aber er kann seinen Schrecken verlieren.

Text: Amet Bick, Fotos: pixabay.com