Die Erinnerung an Onkel Hagen lebt

Thea, Schülerin am Gerhart-Hauptmann-Gymnasium in Friedrichshagen hat von ihrem Onkel Hagen etwas Spezielles gelernt.

Thea ist ein fröhliches Mädchen. Beim Lachen verdeckt die Spange ihre schönen Zähne etwas, aber prinzipiell ist ihr das schnuppe. Wir treffen uns, weil mich interessiert, wie Teenager mit Todesfällen innerhalb der Familie umgehen. Als ihre Uroma verstarb, war Thea gerade sieben Jahre alt. „Ich denke gerne an sie zurück, weil sie mich zum Beispiel beim Mensch-ärgere-dich-nicht nie freiwillig gewinnen ließ“, sagt sie. Dabei muss sie grinsen und ich denke an meine eigene Tochter, die im gleichen Alter wie einst Thea ist. Kinder bekommen sowas mit, wenn Eltern oder Oma und Opa sie einfach so gewinnen lassen, die Schummelei fliegt früher oder später auf. Vielleicht hat Thea genau das genossen – die liebevolle Reibung mit der Urgroßmutter.

 

Mein Onkel hatte immer Hoffnung

Vor fünf Jahren starb Theas Onkel Hagen. Erst machte sich bei ihm ein Magenkrebs breit, der zu allem Unglück später in andere Organe bis in den Kopf streute und dort einen Hirntumor auslöste. „Für mich ist es so, als sei er immer noch da“, sagt Thea und das klingt nicht zögerlich. Noch immer hört sie sein Lachen, „denn Hagen war richtig lustig. Von ihm habe ich gelernt, hochgeworfene Süßigkeiten mit dem Mund zu fangen.“ Als alle Therapien nicht anschlugen und klar war, dass nichts mehr half, klammerte sich die Familie dennoch an jeden Strohhalm. Hagens Vater, selbst Arzt, machte mit ihm Laufübungen. Denn die Schmerzen in den zeitweise tauben Füßen und im restlichen Körper sollten dadurch gelindert werden. Abfinden wollte sich Hagen, gerade vierzig Jahre alt, damit aber nicht. „Mein Onkel hatte immer noch Hoffnung. Vielleicht wollte er das ganze Ausmaß seiner Erkrankung auch nicht wahrhaben oder es nicht an sich heranlassen“, kann Thea nur vermuten. Ihr ist anzumerken, dass das alles Jahre zurück liegt und dennoch sehr präsent ist.
Etwa eineinhalb Jahre nach der niederschmetternden Diagnose starb Theas Onkel Hagen im Krankenhaus in den Armen seiner Frau. Thea erinnert sich noch, wie sie während der Trauerfeier weinen musste. Klar, dass Hagens Frau lange mit dem Tod zu tun hatte, schließlich steht man mit vierzig Jahren noch mitten im Leben, es gab Pläne, drei Kinder und plötzlich war Schluss. Auch Theas Großeltern haben bis heute damit zu tun, ganz bestimmt auch deshalb, weil es sich nicht richtig anfühlt, sein Kind zu verlieren.

 

Stilles und auch lautes Gedenken

Bis heute hält die ganze Familie Hagens Andenken hoch. Kein Treffen und keine größere Feier vergehen, ohne dass nicht an Hagen erinnert wird. Seltsam kommt Thea die Erinnerung ihrer Mutter vor, deren Computer in dem Moment abstürzte, als Hagen starb. Vielleicht ein Zufall, wer weiß. Aber die Erinnerung an ihren Onkel lebt, dass ist Thea deutlich anzumerken. „Am Todestag treffen wir uns am Grab“, sagt Thea und es klingt, als würde sie in nächster Zeit nicht darauf verzichten wollen. Auch die Gespräche mit ihrer Mutter Simone helfen sehr, mit dem Verlust umzugehen. Vielleicht ist das wirklich ein guter Plan – sich gegenseitig aufzufangen, zu reden, still und auch laut zu gedenken um zu erkennen, dass das Leben schön, aber auch endlich ist. Thea hat ihren Weg gefunden und es scheint einer zu sein, den sie gemeinsam mit ihrer Familie gehen wird.

 

Thea trinkt ihren Tee aus, ich lade sie zur Hospizeröffnung nach Köpenick ein und hoffe, dass sie kommt. Mit ihrer ganzen Familie. Weil die etwas zu erzählen hat – vom Leben, dem Tod, den Erinnerungen und der Hoffnung danach.

Text/Foto: Uwe Baumann