Lillys Apfelkuchen

Lilly erinnert sich an ihre Oma, die vor kurzem gestorben ist. Sie hat viel von ihr gelernt und den besten Apfelkuchen der Welt gab es auch bei ihr.

Lillys Apfelkuchen ist eigentlich Omas Apfelkuchen. Den hat sie das ganze Jahr hindurch gebacken, es sei denn, sie war krank. Aber das kam selten vor. Wenn sich Lilly recht erinnert, hat sie ihre Oma nie krank erlebt. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie ins Krankenhaus kam. Plötzlich, mit Blaulicht. Das Herz, wie Lilly später erfuhr.

Als Lilly drei Jahre alt war, ging sie mit ihrer Oma Lore auf den Dachboden des alten Wohnauses. Lore, die eigentlich Eleonore hieß, bewahrte dort, unter alten Decken versteckt, ihren hölzernen Puppenwagen aus Kindertagen auf. „Eine quietschende Klapperkiste“, wie sie selbst feststellte. Aber irgendwie hing sie an dem fast antiken Stück und immerhin könnte man es ja aufpeppen. Einen Tropfen Öl auf die Achsen, neue Stoffe zum Kaschieren der unbehandelten Hölzer und des Bodens – fertig. Zumindest stellte sich Lore das so vor.

 

Die erste Liebe

Lilly hingegen war nicht begeistert, auch später nicht. Die Mädchen aus ihrem Kindergarten hatten schickere Kinderwagen, mit denen sie ihre Sprechpuppen ausführten. Lores Kinderwagen hingegen kam aus einer anderen Zeit, die nicht mehr recht in neue Plastikwelten passen wollte.

Dafür konnte Oma backen. Und wenn sie am Backofen stand, duftete bald die ganze Straße nach Kuchen, Marmelade und Zuckerzeug. Im Backen machte Oma keiner was vor, nicht einmal Lillys Mutter – mit ihrer tösenden Küchenmaschine – konnte solche Leckereien herbeizaubern. Waren die Kuchen fertig, wurde im Garten der Tisch gedeckt. Dazu brauchte Oma Lore mindestens fünf riesige Tischdecken, denn die Tafel wuchs mit den Jahren und wurde zum Schluss zu einer Art Straßenfest für Jung und Alt. Herrlich war das.

Oma erfuhr als erste von Lillys großer Liebe. Gemeinsam standen sie unterm Kirschbaum, während Lilly erzählte und Oma zuhörte. Die Oma wusste auch, dass Lilly durch die schriftliche Matheprüfung gerasselt ist. „Mathe ist nichts für Mädchen“, war Lore überzeugt und warf sich vier, fünf Kirschen auf einmal in den Mund. „Wenn du später Bücher schreibst, musst du kein Mathe können.“ Lilly wusste allerdings, dass sie die mündliche Prüfung bestehen musste, in der Tat aber wollte sie Bücher schreiben. Von der Liebe, vom Träumen und von allem, wozu man kein Mathe braucht.

 

Oma als Ratgeber

Für Lilly war Oma erste Anlaufstation, wenn es um wichtige Dinge ging. Mit Oma lernte sie Radfahren, vorher Schwimmen und „einen echt coolen Köpper“ vom Dreimeterbrett. Später brachte ihr Oma Englisch bei, als Übersetzerin war sie nicht nur ein Back-, sondern auch ein Sprachgenie. Sie blickte auch in Cemie voll durch, allerdings war Lilly darin selbst ganz gut. Nur Mathematik sollte ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Immerhin schaffte sie die mündliche Prüfung halbwegs mit Anstand, wie es Oma ausdrückte.

Irgendwann standen Lilly und Oma zusammen am Backofen. Einen Kuchen nach dem anderen schoben sie in die Röhre, solange, bis sie erschöpft auf die Chouch sanken. In der Küche standen nicht nur dieser altertümliche Backofen, sondern auch ein großer Tisch mit Stühlen drumherum und ein Sofa. Ein reichlich ausgeleiertes Ding mit durchgesessenem Stoff und knarzenden Sprungfedern. Aber es ließ sich so herrlich darauf einschlafen.
Lilly war froh, eine fidele Oma zu haben, die einzige. Ihre anderen Großeltern lernte sie zwar noch kennen, aber die Erinnerungen an sie verblassten mit der Zeit. Lore erzählte oft von ihrem Mann, von den harten Kriegsjahren und der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft danach. Die Fotos von einst waren alle in schwarzweiß, fleckig und zum Teil vergilbt. Lilly fragt sich seither, was sie ihren Kindern – sollte sie welche haben – als Erinnerungen überlässt. Handyfotos? Keine Ahnung, vielleicht wird man Fotos wieder auf Papier drucken, so wie zu Omas Zeiten.

Irgendwann riefen Lillys Eltern an, Oma sei im Krankenhaus. Der Arzt sprach mit gedämpfter Stimme zu den Eltern, während Lilly am Krankenbett hockte und ihrer Oma die Hand hielt. Schrumpelig war die, mit vielen Flecken und winzigen Pünktchen übersät. „Eine alte Hand“, dachte Lilly, während ihre Oma friedlich zu schlafen schien. Um nicht mehr aufzuwachen.

 

Omas Name für immer dabei

Zum achtzehnten Geburtstag hat sich Lilly ein Tattoo stechen lassen: Omas vollständiger Name auf dem rechten Oberarm – Eleonore. Ein kleiner, geschwungener Schriftzug, der bei jeder Bewegung fröhlich in die Welt schaut. Oma war von Tattoos nicht begeistert, aber Lilly will ihre eigene Geschichte spinnen. „Ich bin mit Lore immer noch verbunden, es ist beinahe so, als sei sie noch da und ein bißchen ist das ja auch so, wenn ich ihre Stimme höre.“ Denn Lilly hat ein Dutzend Videos und Audio-Dateien gepeichert, in denen sie mit ihrer Oma Rezepte diskutiert oder die Superstars unter den TV-Köchen auf die Schippe nimmt, weil die oft so „geschwollen“ reden. „Die Leute kaufen massenhaft Kochbücher und gucken dann nicht mehr hinein“, sagte Oma immer. Das einzige Kochbuch, was Lore besaß, war ein handgeschriebenes, mittlerweile zerfleddertes Sammelsurium aus losen Blättern, unvollständigen Notizen und Zeitungsausschnitten. Das ist bis heute Lillys größter Schatz.

 

Lillys Apfelkuchen

155 g Butter oder Margarine
120 g Zucker
6 Eier
130 g Haselnüsse, gemahlen
50 g Mehl (möglich ist auch Vollkornmehl)
2 TL Backpulver
1 TL Zimt (wer Zimt nicht mag, kann reduzieren)
850 g Äpfel, grob gerieben
½ Tasse Zucker (für die Äpfel, auch Rohrzucker möglich)
1 Zitrone
2 EL Puddingpulver (Vanillegeschmack)
2 Becher süße Sahne
Kakaopulver zum Bestäuben (ersatzweise Schokostreusel)

Zubereitung

Aus Butter, 120 g Zucker, 3 Eiern, Nüssen, Mehl, Backpulver und Zimt einen Rührteig fertigen und bei 160°C Umluft etwa 30 Minuten backen. Das kann auch am Vortag
geschehen. Die geriebenen Äpfel mit dem Zucker, den restlichen Eiern, der Zitrone und dem Puddingpulver unter ständigem Rühren einmal richtig aufkochen. Etwas auskühlen lassen, dann auf dem in einer Springform liegenden Boden verteilen. Kühl stellen. Die Sahne steif schlagen, auf dem Kuchen verteilen und glatt streichen. Etwas Kakaopulver darüber streuen. Guten Appetit.

Hinweis: Lilly hat uns keine Fotos zur Verfügung gestellt. Wir haben das freilich akzeptiert und diesen Beitrag mit einem Beispielfoto illustriert.
Text: Uwe Baumann, Foto: pixabay.com